Leitfaden
1. Der Holocaust als europaweiter Genozid
Der Holocaust war die staatlich organisierte systematische Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden durch NS-Deutschland und seine Kollaborateure zwischen 1933 und 1945. Ein Völkermord, der einen ganzen Kontinent umfasste und nicht nur Individuen und Familien, sondern auch über Jahrhunderte gewachsene Gemeinschaften und Kulturen zerstörte. Parallel zum Holocaust fand unter nationalsozialistischer Führung die Verfolgung und Ermordung vieler anderer Gruppen statt. Der Holocaust war ein Wendepunkt in der Weltgeschichte, er erstreckte sich über geografische Grenzen hinweg und wirkte sich auf alle Teile der Gesellschaften aus, die von ihm betroffen waren.[1]
Das Bild eines Bahnhofs und Gruppen von Jüdinnen und Juden mit Koffern, die die Züge in die Todeslager besteigen, ist das Bild, das die meisten Menschen (West-)Europas vom Holocaust haben. Es ist sicherlich nicht falsch, aber es ist bei weitem nicht das einzige Bild vom schrecklichen Ende durch den Holocaust. Die Art und Weise, wie sich der Holocaust vor Ort abspielte, war an vielen Orten in Europa spezifisch und unterschiedlich. Die Mordtaten wurden in verschiedenen Gebieten auf unterschiedliche Weise, unter verschiedenen Umständen und aus verschiedenen Motiven begangen. Ermöglicht durch Nazi-Deutschland und die Gewalt des Krieges, wurde der Holocaust auf lokaler Ebene oft von anderen Täterinnen und Tätern ausgeführt: kollaborierende faschistische und nationalistische Regime, lokale Militär-, Gendarmerie-, Polizei- oder paramilitärische Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen, die bei der Massengewalt und den Morden halfen, sich daran beteiligten oder sie selbst anstifteten.
Um dieses beispiellose Verbrechen besser zu verstehen und die Erinnerung an die Opfer zu bewahren, müssen wir die Vielfalt der Erfahrungen und Mikrogeschichten, die die lokale, regionale und nationale Geschichte des Holocaust in ganz Europa ausmachen und prägen, anerkennen und berücksichtigen.
Vom Judenlager Semlin, wo ein Gaswagen jüdische Frauen und Kinder auf ihre letzte tödliche Fahrt brachte, über Jajinci am Rande von Belgrad in Serbien, bis hin zu der Wiese außerhalb von Lemberg, wo Erna Petri, eine Mutter von zwei Kindern, sechs jüdische Kinder kaltblütig tötete, indem sie ihnen jeweils in den Nacken schoss, von den Hinrichtungen im Wald von Falstadskogen außerhalb des Konzentrationslagers Falstad in Norwegen, bis hin zu den Zügen, die das Durchgangslager Westerbork in den Niederlanden verließen - es gibt Tausende und Abertausende einzigartiger lokaler Erlebnisse, persönlicher Geschichten, lokaler Holocaust-Ereignisse, die auf Wiesen und in Wäldern, auf Straßen und Plätzen, in Häusern und Gebäuden in ganz Europa stattfanden. All diese Mikrogeschichten sind gleichermaßen wesentliche Elemente des Holocausts.
Wie der niederländische Historiker und Holocaust-Überlebende Abel Herzberg sagte: „Es wurden nicht sechs Millionen Juden ermordet; es gab einen Mord, sechs Millionen Mal.“[2]“
[1] Wissen über den Holocaust entwickeln, die Korrektheit des individuellen Verständnisses und Wissens sicherstellen und das Bewusstsein für die möglichen Folgen von Antisemitismus schärfen
[2] https://www.ushmm.org/online-calendar/event/mchcrltcol1118
Um den europäischen Charakter des Holocausts zu erfassen, müssen wir mehr über seine lokalen Mikrogeschichten erfahren. Um die lokalen Ereignisse des Holocausts besser zu verstehen, müssen wir sie als Elemente eines den ganzen Kontinent umfassenden Völkermordes betrachten.
Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung von Wissen und die Gewährleistung eines genauen Verständnisses des Holocausts. Es ist eine Voraussetzung für die Reflexion über die moralischen, politischen und sozialen Fragen, die der Holocaust aufgeworfen hat, und deren heutige Relevanz, einschließlich des zeitgenössischen Antisemitismus und der Verfälschung des Holocaust.
Das Lernen über die Mikrogeschichten des Holocausts kann uns helfen, folgende Dinge besser zu verstehen:
- Das dynamische Leben der jüdischen Gemeinden im Europa der Vorkriegszeit
- Den europäischen Charakter dieses Völkermordes mit seiner großen Vielfalt an Erfahrungen und Erzählungen, die alle Teil eines einzigen, gemeinsamen europäischen historischen Ereignisses sind
- Das Ausmaß der Zerstörung jüdischen Lebens, jüdischer Kultur und jüdischen Erbes
- Hilfe und Widerstand
- Kollaboration und Mitläufertum
- Das Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung, die Erinnerung zu bewahren, die Menschen- und Bürgerrechte aller Bürger zu schützen und zu verhindern, dass sich ein Verbrechen wie der Holocaust jemals wiederholt.
2. Lehren und Lernen über den Holocaust
Auf der Grundlage der Empfehlungen der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) zum Thema "Lehren und Lernen über den Holocaust" sollten Lehrende und Lernende ermutigt und befähigt werden, über die moralischen, politischen und sozialen Fragen, die der Holocaust aufgeworfen hat, und deren heutige Relevanz nachzudenken. Durch die Holocaust-Erziehung, die einen Eckpfeiler der demokratischen Bildung darstellt, sollen die Schüler:
- Wissen über den Holocaust entwickeln, die Korrektheit des individuellen Verständnisses und Wissens sicherstellen und das Bewusstsein für die möglichen Folgen von Antisemitismus schärfen
- Schaffung eines ansprechenden Lernumfelds für das Lernen über den Holocaust.
- Förderung des kritischen und reflektierenden Denkens über den Holocaust, einschließlich der Fähigkeit, der Leugnung und Verfälschung des Holocaust zu begegnen.
- Beitrag zur Aufklärung über Menschenrechte und Völkermordprävention.
„Das Lehren und Lernen über den Holocaust” vermittelt den Lernenden nicht nur Wissen über ein Ereignis, welches ethische Vorstellungen grundlegend in Frage gestellt hat, sondern gibt ihnen auch die Möglichkeit, einige der Mechanismen und Prozesse zu verstehen, die zum Völkermord geführt haben, sowie die Entscheidungen, die die Menschen getroffen haben, um den Prozess der Verfolgung und des Mordens zu beschleunigen, zu akzeptieren oder sich dagegen zu wehren, wobei sie anerkennen, dass diese Entscheidungen manchmal unter extremen Umständen getroffen wurden.
Allem voran: Pädagoginnen und Pädagogen sollten zuversichtlich sein, dass mit sorgfältiger Planung und geeigneten Materialien ein effektiver und erfolgreicher Unterricht über den Holocaust gelingen kann. Korrektheit und Genauigkeit bezüglich historischer Fakten, historischer Vergleiche und des Sprachgebrauchs sind unerlässlich von Seiten der Lehrenden. Eine an den Lernenden orientierte Vorgehensweise, die das kritische Denken und die Reflexion unterstützen, sollte gefördert werden. Es sollte auf die Bedeutung sorgfältig ausgewählter, für die Lernenden geeigneter Primär- und Sekundärquellen geachtet werden, die die Individualität und Handlungsfähigkeit der historischen Akteure deutlich machen. Nicht zuletzt ist es wichtig, den jeweiligen historischen Kontext zu berücksichtigen und historische Vergleiche zu vermeiden, wenn der Holocaust im Kontext anderer Themenfelder wie Genozidprävention und Menschenrechten untersucht wird.[3].
[3] Empfehlungen für das Lehren und Lernen über den Holocaust von der International Holocaust Remembrance Alliance, Wie soll über den Holocaust unterrichtet werden?, S. 7, (IHRA), 2019.
3. Aufklärung über Antisemitismus
In ihrer Arbeitsdefinition von Antisemitismus, definiert die IHRA Antisemitismus als „eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“
Die UNESCO betrachtet Antisemitismus als ein Sicherheitsproblem für jüdische Gemeinden und Einzelpersonen in Regionen auf der ganzen Welt und als treibende Kraft für eine Reihe von gewalttätigen extremistischen Ideologien. Wie alle Formen von Intoleranz und Diskriminierung hat auch Antisemitismus tiefgreifende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft und untergräbt demokratische Werte und Menschenrechte. Wir sollten uns stets vor Augen halten, dass Antisemitismus nicht auf extremistische Kreise beschränkt ist und zunehmend zum Mainstream wird. Die Bekämpfung von Antisemitismus durch Bildung ist daher sowohl ein unmittelbares Sicherheitsgebot als auch eine langfristige Bildungsinvestition zur Förderung der Menschenrechte und des globalen Bürgersinns.
Zur Unterstützung von Lehrkräften und Schulleitungen bei der Prävention und Auseinandersetzung mit Antisemitismus in Schulen erstellten die UNESCO und die OSZE/BDIMR vier Rahmenlehrpläne für die Ausbildung von Lehrkräften unter dem Titel „Addressing Anti-Semitism in Schools: Training Curricula“.
Es ist von großer Bedeutung zu verstehen, dass das Lehren über den Holocaust und das Lehren über Antisemitismus nicht dasselbe sind. Es wird oft fälschlicherweise angenommen, dass das Lehren über die Geschichte des extremsten historischen Ereignisses, das vom Antisemitismus angetrieben wurde, ausreichen würde, um zeitgenössische Formen des Antisemitismus und die Gefahr, die er in unseren heutigen Gesellschaften darstellt, zu thematisieren. Diese beiden Themen können sich zwar überschneiden und zu einem besseren Verständnis des einen und des anderen beitragen, aber sie decken nicht alle Aspekte beider Themen ab und können dies auch nicht.
4. Aktuelle Herausforderungen für Pädagoginnen und Pädagogen
Holocaust-Leugnung
In ihrer Arbeitsdefinition zur Leugnung und Verfälschung /Verharmlosung* des Holocaust, definiert die IHRA diese als „solche Diskurse und Formen der Propaganda […], die die historische Realität und das Ausmaß der Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten und ihre Komplizen während des Zweiten Weltkriegs - bekannt als Holocaust oder Shoah - leugnen. Holocaustleugnung bezieht sich namentlich auf jeden Versuch zu behaupten, der Holocaust/die Shoah habe nicht stattgefunden. Holocaustleugnung ist auch gegeben, wenn die wesentlichen Mechanismen der Vernichtung (wie Gaskammern, Massenerschießungen, Verhungern und Folter) oder die Vorsätzlichkeit des Völkermords an den europäischen Juden öffentlich geleugnet oder in Zweifel gezogen werden. Holocaustleugnung ist in all ihren verschiedenen Formen Ausdruck von Antisemitismus. Wer den Völkermord an den Juden leugnet, versucht Nationalsozialismus und Antisemitismus von Schuld und Verantwortung für diesen Völkermord freizusprechen. Formen der Holocaustleugnung bestehen auch darin, den Juden vorzuwerfen, sie übertrieben die Shoah oder hätten sie erfunden, um daraus einen politischen oder finanziellen Vorteil zu ziehen, als sei die Shoah das Ergebnis einer Verschwörung der Juden gewesen. Dies zielt letztlich darauf ab, die Juden für schuldig und den Antisemitismus einmal mehr für legitim zu erklären. Häufig zielt die Holocaustleugnung auf die Rehabilitation eines offenen Antisemitismus ab und will damit ebenjene politischen Ideologien und Bedingungen fördern, die das Entstehen genau der Art von Geschehnissen begünstigen, die sie leugnet.”
Holocaust Verharmlosung/Verfälschung
Laut IHRA handelt es sich bei der Verharmlosung und Verfälschung des Holocausts um rhetorische Äußerungen, schriftliche Arbeiten oder andere Medien, die die bekannten historischen Aufzeichnungen entschuldigen, minimieren oder falsch darstellen. Dies kann beabsichtigt oder unbeabsichtigt sein. Jede Verharmlosung oder Verfälschung, ob absichtlich oder unabsichtlich, nährt jedoch antisemitische Narrative und kann zu gewalttätigeren Formen des Antisemitismus führen. Obwohl Verharmlosung und Verfälschung oft dieselben antisemitischen Ziele verfolgt wie die Leugnung, kann es schwieriger sein, die dahinter stehenden Motive zu erkennen, da es einige Formen von diesen Phänomenen gibt, die eher auf Unwissenheit als auf Antisemitismus zurückzuführen sind. Unabhängig von der Motivation verstärken Verharmlosung und Verfälschung jedoch immer den Antisemitismus und damit verbundene Vorurteile. Sie öffnen die Tür zu offener Holocaust-Leugnung oder anderen Formen von schädlichem, gefährlichem und gewalttätigem Antisemitismus.
IHRA-Experten haben in der Publikation Holocaustverfälschung und -verharmlosung erkennen und bekämpfen: Empfehlungen für politische und andere Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zehn Hauptformen der Holocaustverfälschung und ¬-verharmlosung aufgezeigt.
Bildung
Als Pädagoginnen und Pädagogen, die sich mit dem Lehren und Lernen über den Holocaust und dem Umgang mit Antisemitismus befassen, sind wir mit einer Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert, die mit dem gegenwärtigen Stand des Wissens und des Verständnisses von Holocaust und Antisemitismus in unseren Gesellschaften sowie mit der allgemeinen politischen Situation und Realität zusammenhängen. Dies ist natürlich in den verschiedenen Teilen Europas unterschiedlich, und es gibt viele lokale Besonderheiten. Einige der Probleme, die Pädagoginnen und Pädagogen zu lösen versuchen, könnten sein:
- Wie geht man mit zeitgenössischem neonazistischem Gedankengut und antisemitischen Verschwörungstheorien um?
- Wie geht man mit den vielen "kleinen" oder großen faktischen Missverständnissen um, die unter Schülern weit verbreitet sind?
- Wie kann man unterrichten, wenn der Überblick über einen allgemeinen "Wissensstand" in der Gesellschaft fehlt?
- Wie man Fragen und eine konstruktiv-kritische Diskussion anregen kann
- Wie kann man über den Holocaust als einen ganzen Kontinent umfassenden Genozid unterrichten, wenn es an Interesse mangelt, etwas über die Mikrogeschichten des Holocaust in anderen Teilen Europas zu erfahren?
- Wie kann man über die Rolle der Kollaborateure im besetzten Europa unterrichten, wenn es an politischem Willen und Mut für eine ehrliche Auseinandersetzung mit den dunkelsten Ecken der lokalen und nationalen Geschichte mangeln könnte?
- Wie geht man mit Vergleichen, Verharmlosungen und Relativierungen um, z.B. mit den Covid-Maßnahmen, Tierrechtsaktivismus, Antiglobalismus, Ökologie, dem Leiden deutscher (oder anderer) Zivilisten während des Zweiten Weltkriegs, kommunistischen Verbrechen, Kolonialismus oder anderen (angeblichen oder tatsächlichen) Menschenrechtsverletzungen?
- Wie man mit Kritik, Dämonisierung, Doppelstandards und Delegitimierung von Israel umgeht
- Wie kann die Erziehung zu aktiver Bürgerschaft, zu grundlegenden Ideen über Menschenrechte, Bürgerrechte, staatsbürgerliche Pflichten, Bürgersinn über das Wählen hinaus - wie man an der Gesellschaft teilnimmt, Förderung des Pluralismus usw. - einbezogen werden?
- Wie kann eine objektive Diskussion über den israelisch-palästinensischen Konflikt gefördert werden, ohne in antisemitische Fallen zu tappen?
- Wie kann man kritisches Denken, Quellenkritik und Medienkompetenz fördern?
5. Pädagogische Graphic Novel
Obwohl sich dieses Dokument in erster Linie an Lehrkräfte richtet, soll es auch als Inspirationsquelle für Bibliothekarinnen und Bibliothekare, Archivarinnen und Archivare, Museumspädagoginnen und Museumspädagogen, Pädagoginnen und Pädagogen der Zivilgesellschaft und andere Multiplikatorinnen und Multiplikatoren dienen und sie ermutigen, eine aktive Rolle bei der Initiierung und Förderung der Bildung über den Holocaust und den Antisemitismus zu übernehmen.
Die Grundlage, auf der die pädagogische Graphic Novel basiert, besteht aus zwei visuellen Ebenen, die jeweils durch historische und literarische Aufzeichnungen mit einer klaren didaktischen Bedeutung untermauert werden.
Die erste visuelle Ebene besteht aus historischen Daten und bildet die Grundlage für die Rekonstruktion von Lebensgeschichten. Zu dieser Schicht gehören Archivdokumente, Zeitungen und Fotos, die Szenen aus dem Alltag vor dem Krieg sowie die dramatischen Ereignisse während des Krieges zeigen.
Die zweite Ebene wird von den Autorinnen und Illustratorinnen des Romans erdacht. Sie stellt eine künstlerische Interpretation der faktischen Bildebene dar. Der Zweck dieses Ansatzes, der parallele visuelle Erzählungen verwendet, besteht darin, den jungen Lernenden die historischen Quellen und ihren Informationsgehalt so zugänglich wie möglich zu machen.
Historische Fotografien als dokumentarische Aufzeichnungen führen den Lernenden Ereignisse, Situationen und Stimmungen von Menschen vor Augen, die sie vielleicht nicht so leicht nachvollziehen können. Mit Hilfe von Illustrationen auf der Grundlage von historischen Fotografien, Archivalien und schriftlichem Material kann jedoch ein historisches Einfühlungsvermögen geschaffen, Interesse für diese sensiblen Themen geweckt und ein grundlegendes Untersuchungsverfahren eingeleitet werden. Dies führt dann zu einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aus einem persönlichen Blickwinkel, was eine wichtige Perspektive im Geschichtsunterricht ist.
Neben den Illustrationen erzählt der Text die Geschichte der Hauptfiguren und ihrer Familien, kontextualisiert die visuelle Erzählung und führt die Lernenden durch die Abfolge der Ereignisse.
Indem die Autorinnen und Autoren zwei visuelle Ebenen parallel zu einer literarischen Erzählung verwenden, um sich einem äußerst sensiblen Thema zu nähern, ermöglichen sie die Entwicklung affektiver Empathie und erkennen die Bedeutung moralischer Überlegungen bei der Analyse historischer und zeitgenössischer sozialer Phänomene an.
Graphic Novels üben eine große Anziehungskraft auf junge Menschen aus und motivieren sie zum Lesen. Mit ihren komplexen Handlungen, der Erzählstruktur und den reichhaltigen Illustrationen sprechen Graphic Novels begeisterte Leserinnen und Leser an; Schulbibliothekarinnen und -bibliothekaren und Pädagoginnen und Pädagogen haben jedoch festgestellt, dass sie auch bei Lesemuffeln beliebt sind.
Hochwertige Graphic Novels, die den Lesenden heute zur Verfügung stehen, erfordern das gleiche Niveau an Lesekompetenz und Verständnis wie herkömmliche Prosa. Sie verlangen vom Lesenden, dass sie oder er sich aktiv am Prozess der Entschlüsselung des Inhalts beteiligt und die Erzählstruktur sowie die metaphorische und symbolische Bedeutung des Textes versteht. Bildungsmaterial, das in Form von Graphic Novels präsentiert wird, ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, die Lesekompetenz zu entwickeln, die erforderlich ist, um komplexere Werke, einschließlich der literarischen Klassiker, zu verstehen.
Pädagoginnen und Pädagogen steht eine breite Palette von Methoden für den Einsatz von Graphic Novels im Unterricht zur Verfügung:
- Graphic Novels als visuelle Quellen (Illustrationen) - Untersuchung und Analyse visueller Quellen
- Graphic Novel als Informationsquelle - eine Form der Aneignung neuen Wissens
- Graphic Novel als Anstoß für Gespräche und Diskussionen mit Schülerinnen und Schülern
- Erstellen einer Graphic Novel - die Schülerinnen und Schüler sollen ihre eigenen Geschichten erfinden.
Wenn man über die Vergangenheit unterrichtet, ist es wichtig, Geschichte so zu präsentieren, dass die Lernenden sie verstehen, aber auch ein echtes Interesse daran entwickeln. Qualitativ hochwertiges Unterrichtsmaterial über den Holocaust und andere Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs ermöglicht es den Lernenden, einen Schritt weiter zu gehen: vom aktiven Sammeln von Informationen, der Untersuchung der Ursachen und Folgen, dem Ziehen von Schlussfolgerungen und der Konstruktion neuer Beispiele bis hin zum Lösen von Problemen und der Prüfung von Argumenten.
Das Ergebnis ist, dass die Lernenden funktionales Wissen erwerben, das sie während ihrer weiteren Ausbildung und darüber hinaus nutzen können.
Der Unterricht über den Holocaust muss nicht nur über den Tod, sondern kann auch über das Leben handeln - ein Leben, das einmal war und ein Leben, das trotz aller Widrigkeiten weitergeht. Mit den künstlerischen Mitteln des Gesangs, des Tanzes, der Bilder und der Worte haben Künstlerinnen und Künstler schon immer Geschichten über die Ereignisse der Vergangenheit und die Menschen, die daran beteiligt waren, erzählt.
Durch das geschriebene Wort und den Prozess der Dramatisierung konnten literarische Autoren Charaktäre, Dialoge und Ereignisse zum Leben erwecken und uns in die Lage versetzen, emotionale, moralische, psychologische, philosophische und andere zutiefst menschliche Aspekte historischer Ereignisse auf eine Weise zu untersuchen, die über die analytischen und investigativen Instrumente der Geschichtswissenschaft hinausgeht. Verschiedene Erzählformen, darunter auch der Graphic Novel, bieten eine Fülle von Möglichkeiten für den Einsatz im Unterricht.
Der Geschichtsunterricht mit Hilfe von Graphic Novels eröffnet die Möglichkeit, die Lernenden sowohl emotional als auch intellektuell auf eine völlig neue Weise anzusprechen. Solche Werke geben Einblicke in die Gesellschaft vor, während und nach dem Holocaust und lassen die Erfahrungen, Gedanken und Gefühle nicht nur der Opfer, sondern auch der Umstehenden, derjenigen, die zu helfen versuchten, sowie der Täterinnen und Täter und ihren Helferinnen und Helfern lebendig werden. Durch die Erstellung einer altersgerechten Graphic Novel werden junge Menschen nicht mit den Szenen des Todes und der Gräueltaten konfrontiert, denn es ist seit langem erwiesen, dass sie nicht zu einem besseren Verständnis des Holocaust führen, sondern im Gegenteil Abneigung und Trauma hervorrufen.
Die Geschichten und Illustrationen in einer pädagogischen Graphic Novel sind vielschichtig und mit vielen Details versehen, die zu weiteren Nachforschungen anregen können, nicht nur über historische Ereignisse und das Leben vor dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch über Technik, Kultur, Kinematographie, Sport, Mode und andere Aspekte des Alltagslebens.
Arten von Aufträgen für Lernende
Investigative Aufgaben
Ziel ist es, den Lernenden grundlegende Kenntnisse der Untersuchungsmethodik zu vermitteln - insbesondere die Fähigkeit, verschiedene historische Quellen wie Fotos, Zeugenaussagen, historische Zeitungen, Archivdokumente usw. zu untersuchen.
Analyse von historischen Quellen
Diese Aufgabe soll den Lernenden helfen, die Fähigkeit zu entwickeln, historische Quellen zu analysieren und Schlussfolgerungen anhand von konkreten Beispielen zu ziehen.
Lernen am Ort des Geschehens
Ziel ist es, dass die Lernenden die Fähigkeit entwickeln, historische Orte zu untersuchen und ihre Ergebnisse zu präsentieren.
Vergleichen und Analysieren - gleicher Ort, andere Zeit
Analysiere die Abbildungen, die denselben Ort zu verschiedenen Zeiten zeigen, z. B. vor und während der Besatzung oder vor, während und nach dem Krieg. Man kann zum Beispiel das Haus unserer Hauptfiguren oder einen Schulhof betrachten, öffentliche Orte des täglichen Lebens wie Straßen und Plätze in der Stadt und Gebäude und Orte, die vor dem Krieg einen bestimmten Zweck hatten, aber während des Holocausts in Konzentrationslager oder Tötungsstätten umgewandelt wurden.
Collage
Die Lernenden haben die Aufgabe, eine Collage zu erstellen, die den Roman, seine Figuren, die Schauplätze und den historischen Kontext in dem jeweiligen Land sowie im größeren europäischen Kontext darstellt, indem sie Fotos, Illustrationen, Karten und andere Materialien aus dem Internet oder anderen Quellen verwenden. Die Collage kann digital, gedruckt oder durch Ausschneiden und Einfügen von Teilen des Materials erstellt werden.
Parallele Zeitleisten
Erstelle drei parallele Zeitleisten und stellen Sie sie untereinander.
Die erste Zeile enthält Illustrationen aus dem Roman, die in chronologischer Reihenfolge angeordnet sind. Die zweite Zeile enthält wichtige und relevante historische Ereignisse und Entwicklungen in dem Land vor dem Krieg und während der Besatzungszeit. Die dritte Zeile enthält relevante historische Ereignisse und soziale und politische Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust in Europa.
Erstelle deine eigene Graphic Novel
- Erstellen einer Graphic Novel über die Erfahrungen der eigenen Familie (Einzel- oder Gruppenarbeit)
Die Lernenden untersuchen die Erfahrungen im Zusammenhang mit einem bedeutenden Ereignis aus der Vergangenheit ihrer Familie (das nicht unbedingt mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun haben muss) und erstellen auf der Grundlage ihrer Ergebnisse eine Graphic Novel. Dabei ist darauf zu achten, dass die persönliche Geschichte in einen breiteren sozialen und historischen Kontext gestellt wird. Die Schülerinnen und Schüler können Fotos, Zeitungsausschnitte und andere Dokumente verwenden. Der Zweck dieser Übung besteht darin, sich auf persönliche Geschichten zu konzentrieren, den Untersuchungsprozess zu verstehen und die persönliche Geschichte mit dem sozio-historischen Kontext zu verbinden, in dem sie sich entfaltet. Diese Übung kann als Teil der Vorbereitung auf die Erstellung einer Graphic Novel über den Holocaust dienen.
- Erstellen einer Graphic Novel über den Holocaust auf der Grundlage einer lokalen persönlichen Geschichte (Gruppenarbeit)
Die Lernenden recherchieren reale Personen und Ereignisse, die sich während des Holocausts in ihrem eigenen lokalen Umfeld zugetragen haben, und erstellen auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse eine Graphic Novel. Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer persönlichen Geschichte, die auf relevanten historischen Quellen beruhen und in den Kontext breiterer sozio-historischer Ereignisse gestellt werden muss. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Lehrkraft eine aktive Rolle übernimmt und die Schülerinnen und Schüler bei der Recherche unterstützt. Die Lernenden nutzen Fotos, Zeitungsausschnitte und andere Dokumente. Es ist ratsam, die maximale Anzahl der Seiten/Illustrationen zu Beginn festzulegen, um unrealistische Ambitionen zu vermeiden. Nach Fertigstellung der Graphic Novel erstellen die Schülerinnen und Schüler eine Präsentation, die einen Bericht über den Recherche- und Kreativprozess sowie einen kurzen Abriss des europäischen und lokalen historischen Kontextes der von ihnen erzählte Geschichte enthält.
Quellen
Relevante Links und Veröffentlichungen für die HANNAH Empfehlungen und Ideen zum Einsatz pädagogischen Graphic Novel:
- IHRA Empfehlungen zum Lernen und Lehren über den Holocaust
https://www.holocaustremembrance.com/resources/educational-materials/ihra-recommendations-teaching-and-learning-about-holocaust - IHRA Holocaust-Verzerrung Verstehen: Kontexte, Einflüsse und Beispiele
https://www.holocaustremembrance.com/resources/publications/understanding-holocaust-distortion-contexts-influences-examples - IHRA Arbeitsdefinition zu Holocaust-Leugnung und -Verzerrung
https://www.holocaustremembrance.com/resources/working-definitions-charters/working-definition-holocaust-denial-and-distortion - IHRA Holocaust-Verzerrung Erkennen und Entgegentreten: Empfehlungen für Politik und Entscheidungstragende
https://www.holocaustremembrance.com/resources/reports/recognizing-countering-holocaust-distortion-recommendations - IHRA Arbeitsdefinition des Antisemitismus
https://www.holocaustremembrance.com/resources/working-definitions-charters/working-definition-antisemitism - IHRA Arbeitsdefinition zu Antiziganismus/Diskriminierung gegen Roma
https://www.holocaustremembrance.com/resources/working-definitions-charters/working-definition-antigypsyism-anti-roma-discrimination - IHRA Arbeitsdefinition zu Materialien, die sich auf den Holocaust beziehen
https://www.holocaustremembrance.com/resources/working-definitions-charters/working-definition-holocaust-related-materials - Die Yad Vashem Internationale Schule für Holocaust Studien, Bildungsgrundsätze
https://www.yadvashem.org/articles/general/pedagogical-philosophy.html - UNESCO-Empfehlungen für die Erstellung von Lehrplänen und Schulbüchern zum Lehren über den Holocaust
https://en.unesco.org/news/unesco-releases-holocaust-education-recommendations-six-languages - UNESCO/ODIHR Antisemitismus durch Bildung bekämpfen: Leitlinien für politische Entscheidungsträger
https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000263702 - Europarat: Charta zur Erziehung zur demokratischen Staatsbürgerschaft und zur Menschenrechtserziehung
https://www.coe.int/en/web/edc/charter-on-education-for-democratic-citizenship-and-human-rights-education - ODIHR Empfehlungen und Leitlinien für Bildung für Menschenrechte und zur Bekämpfung verschiedener Formen von Intoleranz und Diskriminierung
https://www.osce.org/odihr/education - Nastavni materijal za borbu protiv antisemitizma
- Überarbeitete Leitlinien zum Besuch von Holocaust-Gedenkorten https://www.holocaustremembrance.com/resources/educational-materials/revised-guidelines-visiting-holocaust-related-sites
- Holocaust-Gedenktage vorbereiten: Empfehlungen für Lehrende https://www.holocaustremembrance.com/resources/educational-materials/preparing-holocaust-memorial-days-suggestions-educators
- Ohne Zeitzeugen den Holocaust unterrichten https://www.holocaustremembrance.com/el/resources/educational-materials/didaskontas-olokaytoma-horis-epizontes
- Der Beutelsbacher Konsens für historisch-politische Bildung in Schulen https://www.lpb-bw.de/beutelsbacher-konsens/
- Freistaat Sachsen, Landesamt für Schule und Bildung (2018). Eckwerte zur politischen Bildung https://www.politische.bildung.sachsen.de/download/21_09_10_Eckwerte_politische_Bildung.pdf
- Widerspruchstoleranz. Ein Theorie-Praxis-Handbuch zu Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit, Berlin 2013 DE https://www.kiga-berlin.org/uploads/KIgA_Widerspruchstoleranz_2013.pdf
- Widerspruchstoleranz 2. Ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit, Berlin 2017 https://www.kiga-berlin.org/uploads/Widerspruchstoleranz_2_Ansicht.pdf
- Widerspruchstoleranz 3. Ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit. Berlin 2019 https://www.kiga-berlin.org/uploads/KIgA_Widerspruchstoleranz3_2019.pdf
- Umgang mit Antisemitismus in der Grundschule. Alltag von Jüdinnen und Juden in Berlin, Auseinandersetzung mit antisemitischen Vorurteilen, Thematisierung des Holocaust. Berlin 2020 https://www.annefrank.de/fileadmin/Redaktion/Bildungsarbeit/Dokumente/Lernmaterialien/2020_AFZ_-_Umgang_mit_Antisemitismus_in_der_Grundschule_Neuauflage.pdf
- Universitäre Lehre zum Holocaust in Deutschland, Berlin 2018 https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/22444/Naegel_Kahle_University_teaching_about_the_Holocaust_in_Germany.pdf?sequence=7&isAllowed=y
- anders-denken.info. Die Onlineplattform für Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit https://www.anders-denken.info/
- Foundation for Critical Thinking
https://www.criticalthinking.org/
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