“Da antwortete das ganze Volk und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!” (Matthäus 27.25)
Das Christentum tauchte im 10. Jahrhundert in Polen auf und begann, die polnische Kultur, die Sitten und die Gesellschaft stark zu beeinflussen. Einer der ersten Mythen, die an der Nahtstelle zwischen Christentum und Judentum entstanden, war die Verwendung der biblischen Geschichte über den Prozess und die Kreuzigung von Jesus. Es wurde die Behauptung aufgestellt, dass "die Juden das Blut Jesu an ihren Händen haben", weil es die Vertreter der Priester und des Sanhedrins (der höchsten jüdischen religiösen und gerichtlichen Institution im alten Judäa) waren, die für die Verurteilung Jesu zum Tode verantwortlich waren. Im Mittelalter herrschte die Überzeugung, dass jüdische Menschen aufgrund der Ermordung des Messias geächtet wurden. Spuren dieses Denkens sind auch heute noch zu finden.
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Die Folge dieses Mythos war ein starker Antijudaismus über die Jahrhunderte hinweg. Das jüdische Volk wurde für den Tod des Messias verantwortlich gemacht. Aus diesem Grund wurden in den Kirchen stark antijüdische Predigten gehalten, insbesondere zu Ostern. In den Darstellungen der Passion Christi wurden Jüdinnen und Juden in stark stereotyper Weise dargestellt. Mancherorts wurde auch das so genannte "Judasgericht" abgehalten. Es wurde eine Strohpuppe angefertigt, die einem jüdisch-orthodoxen Menschen ähnelte. Sie wurde 30 Mal mit Stöcken geschlagen, in Anlehnung an die 30 Silberstücke des Judas. Manchmal wurde die Puppe auch ertränkt, verbrannt oder an einen nahe gelegenen Pfahl gehängt.
Dieser offen antisemitische Brauch beweist, dass die Puppe des Judas nicht nur als symbolische Verkörperung des Verräters Jesu behandelt wurde, sondern mit der Zeit alle jüdischen Menschen als Verräter Jesu personifizierte.
Im Jahr 2018 wurde die Öffentlichkeit durch Berichte aus der Kleinstadt Pruchnik in Ostpolen aufgeschreckt, wo es zu einer Art Reaktivierung dieses Brauchs kam. Das Bildnis eines stereotypen orthodoxen jüdischen Menschen wurde durch die Straßen geschleppt und mit Stöcken geschlagen, was vor allem bei jungen Erwachsenen auf große Begeisterung stieß.
Das Ereignis wurde von den staatlichen Behörden und auch vom polnischen Episkopat verurteilt. Auch aus jüdischen und wissenschaftlichen Kreisen wurden Stimmen der Verurteilung laut.
Die kirchlichen Behörden sollten sich nachdrücklich gegen die Mythen und Vorurteile in Bezug auf die Religion und die Beziehung zwischen Judentum und Christentum aussprechen. Episkopate, Bischöfe und Priester sollten jeglichen Glauben an Mythen kategorisch verurteilen und sich bemühen, das oben erwähnte umstrittene Bibelzitat im Geiste der Ökumene zu erklären. Während der Osterzeit sollten Geistliche in ihren Predigten keine Stereotypen reproduzieren.